Weltkulturerbe 2011 03-07-2011 Manfred F. Fischer
1972 beschließt die UNESCO die Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, die bis 1976 in Kraft trat und u.a. die Aufstellung einer entsprechenden Liste festlegte. Die Bundesrepublik und die damalige DDR traten ihr bei. Auslöser waren die Erfahrungen zur Rettung der von einem Stausee bedrohten berühmten Tempelanlagen von Abu Simbel in Ägypten gewesen. Parallel dazu läuft eine Aktion zum sog. „immateriellen Kulturerbe“, mit dem es oft Verwechselungen gibt. Die Liste der für die Aufnahme geeigneten Objekte war ursprünglich rein exemplarisch und erzieherisch gedacht gewesen, als Mahnung zur Wahrnehmung weltweiter Verantwortung und Verpflichtung. Heute sieht man sie nur noch als „Adelserhebung“, als Aufnahme in eine Art „Champions League“ der Kultur, aus einem aktuell ausufernden Exzellenz- und Konkurrenzdenken heraus, mit „Leuchttürmen“ und „Markenzeichen“. Hier tobt sich ein neuzeitliches „Commerzienratsdenken“ aus wie in der Gründerzeit.
Dementsprechend ufern derzeit die Anträge zur Aufnahme in die Liste aus. Allein in Bayern werden derzeit 13 Objekte traktiert, was die zuständigen Behörden von wichtigerer Arbeit abhält, also Zeit und Geld verschlingt: Opernhaus Bayreuth, Steigerwald, Nürnberg (Saal 600), Altstadt Passau, Kloster Banz und Vierzehnheiligen, Königsschlösser Ludwigs II., Augsburger Wasserwirtschaft, Altstadt Rothenburg o.T., Flößerstadt Bad Tölz, Dachauer Gedenkstätte, Schloß Pommersfelden, Tegernseer Tal, Fürther Altstadt. Darüber hinaus aus ganz Deutschland eine anwachsende Zahl von Anträgen, deren Bearbeitung bis zur evtl. Beschlussfassung der zuständigen Gremien Jahrzehnte okkupieren wird. Die ursprüngliche Systematik ist dadurch inzwischen gänzlich aus dem Lot geraten.
Die wahren Probleme im Sinne der einstigen Gründung spielen sich anderswo ab: Kriegszerstörungen antiker Stätten in Libyen, im Irak, in Syrien, Davastierung von Bodenschätzen in Afghanistan, Staudammbauten in der Türkei und in China sind Beispiele für solche Gefahren.
Auch bei uns schützt die Aufnahme in die UNESCO-Liste nicht vor heftigem Streit bei aktuellen Planungen: siehe Regensburg, Bamberg und das Rheintal. Im Falle des Brückenbaus im Dresdner Elbtal führte dies sogar zur Aberkennung des „Titels“.
Die Gründe für die Inflation von Anträgen liegen wohl vorwiegend in falschen finanziellen Erwartungen und Hoffnungen. In der Konsequenz wird dadurch die Denkmalwelt Deutschlands entgegen der gültigen Rechtslage der zuständigen Bundesländer letztlich in eine „Zwei Klassenwelt“ geteilt. Nicht mehr die Notwendigkeit und Nachhaltigkeit steuert die Entscheidungen über Fördermittel, sondern die Zugehörigkeit zu einer Art „Classement“. Dies hatte schon in der DDR-Zeit katastrophale Folgen.
Auch in der Genehmigungspraxis zeigen sich schon jetzt die gefährlichen Folgen dieser Entwicklung. Kommunen mit Objekten des „Weltkulturerbes“ neigen dazu, ihre Planungen an der zuständigen Denkmalbehörde ihres Landes vorbei direkt in der UNESCO-Zentrale in Paris vorzustellen, um auf diesem Weg ihre Schmerzgrenze des „Titel“- Entzugs auszuloten. Hier werden Zuständigkeiten ausgehebelt. Dies wirkt sich zerstörerisch auf jegliches Denkmalpflege – Verantwortungsbewußtsein aus.
Generell steht heute fast überall hinter den Anträgen zur Aufnahme in die Liste des Welterbes eine pragmatische Hoffnung auf Zunahme des Tourismus als Wirtschaftsmotor. Dabei wird Tourismus leider meist nur quantitativ gesehen. Es entsteht also die Gefahr der sog. „Rothenburgisierung“ oder „Verdrosselgassung“ mancher historischer Orte, die als Durchlauferhitzer des Massentourismus gewachsene historische Strukturen auflösen und zerstören. Funktionale Segregationen ganzer Stadtquartiere können die Folge sein.
Ein Sonderkapitel bilden solche vorgeschlagenen Objekte, die als Dokumente einer besonders kritisch zu betrachtenden und zu analysierenden Geschichte des 20. Jahrhunderts einer erhöhten pädagogischen Durchdringung bedürfen. Stätten der Verfolgung und Vernichtung, Gedenkorte an besondere historische Ereignisse waren ursprünglich in der Systematik des Weltkulturerbes nicht vorgesehen gewesen. Man lese hierzu die Begründung, mit der die UNESCO seinerzeit dem Antrag Polens auf Aufnahme der Gedenkstätte des ehem. KZ Auschwitz gefolgt ist, als einmalige besondere Ausnahme und Mahnung.
Schon heute sollten alle Beteiligten erkennen, dass die starke Konzentration von Anträgen aus Europa in krassem Missverhältnis steht zum weltweit exemplarisch gedachten Charakter und Ziel der Welterbe-Konvention. Diesem Eurozentrismus muß entschieden gegengearbeitet werden, zur Stärkung der Glaubwürdigkeit der Konvention in den anderen Kontinenten.
Zusammenfassend kann nur empfohlen werden, die inzwischen in der Praxis überdeutlich gewordenen Fehlentwicklungen in der Umsetzung der Welterbe-Konvention zu überdenken und die Arbeit wieder an der ursprünglichen Zielsetzung auszurichten.
Prof. Dr. Manfred F. Fischer, Bamberg
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